- Haydn - Mozart - Beethoven: Die Wiener Klassiker
- Haydn - Mozart - Beethoven: Die Wiener KlassikerBezeichnung und Idee der »Wiener Klassik« als eigenständige Epoche bildeten sich wie bei jeder anderen Epochenbestimmung erst in historischer Distanz. Der früheste Beleg stammt von dem Göttinger Philosophieprofessor Amadeus Wendt, der 1836 von der (umgangsprachlich offenbar schon geläufigen) »classischen Periode« spricht, die durch das »Kleeblatt: Haydn, Mozart, Beethoven« gebildet werde. Wendts Begründung, dass das Klassische gerade an diesen Komponisten manifest wird, folgt der Systematik Hegels, wonach sich die drei vor allem »in Hinsicht auf das Verhältniss der Materie zur Form« unterscheiden. Bei Haydn scheine »die Form noch über den Stoff zu herrschen. .. Sein musikalischer Gedanke unterwirft sich den gegebenen Formen der Tonstücke ohne Zwang. Sein Verfahren ist meist selbst ein reines Spielen mit der Form«. Bei Mozart sei es die »völlige Durchdringung der Form und des Stoffes«; was ihn »zum Mittelpunkte der classischen Periode macht, das ist die schönste Vermählung von Gesang und Instrumentalmusik.« Bei Beethoven aber gewinne »der Stoff das Uebergewicht über die Form. .. Mit ursprünglicher Freiheit durchbrach sein Riesengenius die Schranken« und mit »diesem Geiste bemächtigte sich Beethoven der Geister aller Instrumente, und Herrschaft der Instrumentalmusik, damit aber Erhebung der Musik zu ihrer kunstmäßigen Selbstständigkeit war das Resultat seines Schaffens.«Wendts dialektische Erklärung des Phänomens der »classischen Periode« in der Musik hat die Auffassung des 19. und 20. Jahrhunderts sowohl auf Seiten der Befürworter wie bei den Gegnern dieser Ansicht wesentlich geprägt. Kontrovers diskutiert wurde vor allem die Frage, ob Beethoven als die Schranken brechender Neuerer noch zu den Klassikern gerechnet werden könne oder nicht. In seiner 1834 erschienenen »Geschichte der europäisch-abendländischen oder unserer heutigen Musik« grenzt Raphael Georg Kiesewetter, einer der ersten Autoritäten der Musikgeschichtsschreibung, die »Epoche Haydn's und Mozart's« (1780 bis 1800) von der »Epoche Beethoven's und Rossini's« (1800 bis 1832) eigens ab. Durch Haydn und Mozart sei »die Tonkunst in allen Fächern zur höchsten Vollkommenheit gediehen« und man müsse beide als »Stifter einer neuen Schule bezeichnen«, die man auch »Wiener Schule« nennen könne. Durch Beethoven und Rossini sei dagegen die »von Mozart vorgezeichnete Bahn noch bedeutend erweitert« worden. In sie aber habe sich durch Überbieten der Vorgänger und »im Ringen nach Effecten« ein »gefährlicher Luxus« eingeschlichen, der auch auf die Überschätzung der reinen Instrumentalmusik, der »Macht der Instrumente«, zurückgehe.Schon seit Anfang des Jahrhunderts galten Haydn und Mozart als unumstrittene Vorbilder, während man an Beethovens Werken ab seiner dritten Sinfonie (»Eroica«, 1803) nicht selten Übertreibung und Bizarrerie kritisierte.Nachhaltiger wirkte allerdings E. T. A. Hoffmanns emphatisch vertretene These von der Einheit der Epoche Haydns, Mozarts und Beethovens seiner berühmt gewordenen »Rezension der Fünften Symphonie Ludwig van Beethovens« von 1810 formulierte. Schon hier wird Beethoven die Position des Vollenders und des Überwinders zugesprochen. Überhaupt kann Hoffmann als der wichtigste Urheber der klassischen Trias-Bildung gelten und zugleich als derjenige, der die Auffassungsgeschichte der Wiener Klassik wesentlich mitgeprägt hat.Allerdings ist Hoffmanns Musikbegriff ein »romantischer«. Darin enthalten sind vor allem die romantischen Topoi der »Unsagbarkeit«, »Unendlichkeit« und »Reinheit« in der Musik. Romantisch heißt Musik, weil sie »dem Menschen ein unbekanntes Reich« aufschließe, »eine Welt, die nichts gemein hat mit der äußern Sinnenwelt, die ihn umgibt, und in der er alle durch Begriffe bestimmbaren Gefühle zurücklässt, um sich dem Unaussprechlichen hinzugeben«. Musik, die dies am reinsten kann, ist die »reine Instrumentalmusik«, die »romantischste aller Künste«. Und »geniale Komponisten« hätten die Instrumentalmusik zu der »jetzigen Höhe« erhoben: Haydn, Mozart und Beethoven. Unter ihnen sei wiederum Beethoven ein »rein romantischer (eben deshalb ein wahrhaft musikalischer) Komponist«, weil er allein »jene unendliche Sehnsucht« erwecke, »die das Wesen der Romantik ist«.Die erst später »Wiener Klassiker« sind bei Hoffmann also Inbegriff des Romantischen und bleiben es bis hin zu Liszt und Wagner. Der scheinbare Widerspruch der Benennungen klassisch/romantisch löst sich, wenn die Zielsetzungen der Argumentationen auseinander gehalten werden: Ist Musik dem Wesen nach »romantisch« und ist die Instrumentalmusik »rein romantisch«, so wird das »vollkommene Ergreifen ihres Wesens« klassisch genannt werden können. In der Reinheit ihrer Romantik ist sie klassisch. Die Frage allerdings, worin die Reinheit der Musik bestehe, die das Unaussprechliche zu sagen im Stande sei, führte im Laufe des frühen 19. Jahrhunderts zu jenen ästhetischen und kompositorischen Auseinandersetzungen, die im beispiellosen Streit um das Absolute in der Musik gipfeln. Darin ist Beethoven, gleichgültig ob als Vollender der alten oder als Begründer der neuen Epoche, beiden Seiten Vorbild und Ursprung.Der Ausdruck Wiener Klassik, der sich als Epochenbezeichnung durchgesetzt hat, ohne genau genommen einer zu sein, bestimmt sich vor allem durch die normative Universalität der darin angesprochenen Komponisten und ihrer Werke. Normgebend wurde vor allem der »vollendete« Kanon und die unbestrittene Mustergültigkeit der strukturbildenden Kompositionsmittel, Formen und Gattungen sowie die ästhetische Zielsetzung des Komponierens. Zugleich galt die Epoche spätestens mit Beethovens Tod als abgeschlossen und konnte so als »Klassik schlechthin« zu einem »vollendeten« Bezugspunkt und Gegenstand des Lernens und der Auseinandersetzung werden. Darin aber hatte sie stets eine ästhetisch lebendige Gegenwart, das heißt in die alltägliche Gegenwart des 19. Jahrhunderts ragen die »Klassiker«, vor allem Beethoven, unmittelbar und aktuell hinein, während die früheren Epochen in ihrer historischen Ferne zwar als bewahrenswert gewürdigt, aber darin auch als »alt« empfunden wurden. Universalität, die als Moment des Klassikbegriffs auch zur Auffassung von der »Wiener Klassik« als wesentliches Kriterium gehört, zeigt sich zunächst in einem sehr praktischen Sinne: Haydn und Mozart haben nicht nur den Kanon der Formen und Gattungen begründet, auf dem die nachfolgenden Generationen aufbauten, sondern auch, einschließlich Beethoven, in »allen« Gattungen der Musik »klassische« Muster geschaffen. In dieser ihrer Vorbildlichkeit aber erfüllen sie zugleich jenes Moment von Universalität, das auch als zeitlose oder besser: überzeitliche Gültigkeit bis heute wirkt.Prof. Dr. Wolfram SteinbeckBauer, Elisabeth Eleonore: Wie Beethoven auf den Sockel kam. Die Entstehung eines musikalischen Mythos. Stuttgart u. a. 1992.Bimberg, Guido: Musik in der europäischen Gesellschaft des 18. Jahrhunderts. Weimar u. a. 1997.Geck, Martin: Von Beethoven bis Mahler. Die Musik des deutschen Idealismus. Stuttgart u. a.1993.Geschichte der Musik, herausgegeben von Michael Raeburn und Alan Kendall. Band 1: Von den Anfängen bis zur Wiener Klassik. Band 2: Beethoven und das Zeitalter der Romantik. München u. a. 1993.Die Musik des 18. Jahrhunderts, herausgegeben vonCarl DahlhausSonderausgabe Laaber 1996.Rosen, Charles: Der klassische Stil. Haydn, Mozart, Beethoven. Aus dem Englischen. Kassel u. a. 21995.
Universal-Lexikon. 2012.